Möbel von Heinrich Tessenow

Die Forschung wird gefördert von der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. Hamburg

Zum Gesamtwerk des Architekten und Designers Heinrich Tessenow (1876 - 1950) zählen, neben seinen architektonischen und architekturtheoretischen Arbeiten, zahlreiche Studien zu Interieurs und einzelnen Möbelstücken. Im Laufe seiner Schaffensphase wurden weit über hundert Möbelentwürfe von verschiedenen Produzenten realisiert. Die ersten überlieferten Möbel entstanden als Einzelstücke für sein familiäres Umfeld. Ihr Äußeres war noch geprägt von architektonisch-klassizistischen Gestaltungselementen und einer betont handwerklichen Ausführung in Massivholzbauweise. Später, als angestellter Kunstgewerbelehrer in Trier, entwickelte Tessenow erste serienreife Stühle, deren „reine Sachlichkeit“ (Tessenow, Triersches Jahrb. 1908) er sehr schätzte. Im Zuge der Entwurfs- und Baumaßnahmen für das Festspielhaus Hellerau bei Dresden kam er in Kontakt mit den Deutschen Werkstätten und deren Gründer Karl Schmidt. So war es möglich, dass einer der größten Möbelproduzenten der Zeit mit sogenannten „Maschinenmöbel“ werben konnte, welche nicht nur nach Entwürfen weit bekannter Künstler wie Peter Behrens oder Richard Riemerschmid hergestellt wurden, sondern auch von dem aufstrebenden Heinrich Tessenow. Ausgestellt und feilgeboten wurden diese Einrichtungsgegenstände in einem der größten Kaufhäuser des Landes, dem Kaufhaus Wertheim in der herangewachsenen Metropole Berlin. Während des 1. Weltkrieges entwickelte Tessenow in Zusammenarbeit mit dem Sozialreformer Percival Booth Kleinsthäuser und deren Ausstattung für Kriegsheimkehrer und hinterbliebenen Familien. In den Jahren nach dem Krieg wirkte er im Verbund mit sogenannten „Hausratsgesellschaften“, um dem kriegsbedingt entstandenen, landesweiten „Möbelnotstand“ entgegenzuwirken. In der Beseitigung dieses Möbelnotstandes wurde von Künstlern, Architekten, Sozialreformern und Politikern die Chance erkannt, die Entwicklung eines „neuen Stils“ zu intensivieren. Dieser sollte losgelöst sein von der traditionellen Orientierung in Einrichtungsfragen an höher gestellten Gesellschaftsschichten und der Aristokratie. Die Aufgabe für Architekten und Gestalter bestand nun darin, erstmals einen eigenen Einrichtungsstil für die Masse der Bevölkerung, also die Kleinbürger, die Handwerker und niederen Beamten, zu etablieren. Das vormals von stilistisch beliebigen Auswüchsen geprägte, kurzlebige Interieur der Vergangenheit sollte einem von einfachen Formen in solider Bauweise weichen. Tessenow, der aufgrund seiner kleinbürgerlichen Herkunft und seiner handwerklichen Ausbildung die notwendige Erfahrung und Wissen einbringen konnte, verkörperte den passenden Baumeister für diese Aufgabe im Gebiet des Hausbaus und auch der Ausstattung. Schließlich galt er spätestens seit Fertigstellung seines Schlüsselwerks, dem Festspielhaus, als „Vertreter der Einfachheit“ und „Nachfolger Schinkels“ (Karl Scheffler). Eine gewisse wirtschaftliche Erholung während der Nachkriegszeit, sowie Tessenows stetig zunehmender Bekanntheitsgrad, förderten den Wunsch nach neuen Möbelentwürfen, auch unter Verwendung hochwertiger Materialien wie Nussbaumholz, Messing oder Seidenstoff. So bewegte sich Tessenows Möbelschaffen im Spannungsfeld zwischen massentauglicher, fabrikmäßiger Serienproduktion aus teils neu entwickelten Holzwerkstoffen, sowie hochwertiger, handwerklicher Einzelanfertigung. Seine Vorbilder für Interieurs und Einzelmöbel wurzelten vorrangig in der Einfachheit und Gebrauchstauglichkeit der Bauernstube, der formalen Klarheit des Biedermeierzimmers und der um 1900 hochstehenden englischen Wohnkultur. Eines war allen Einrichtungsgegenständen gemein: eine zweckmäßige und gestalterische Einfachheit unter Wahrung einer stets soliden Ausführung. Originale Fotografien seiner Interieurs belegen auch bei Tessenow eine zeittypische Abkehr vom Ideal des räumlichen Gesamtkunstwerks, das vormals den Eindruck einer Innenarchitektur „aus einem Guß“ erweckte. Ganz in diesem Sinne beschrieb er seine persönlichen Vorlieben zu Einrichtungsfragen: „Ich stelle gern alles durcheinander.“ (Paul Appel)

Jörg Ammer

Abb.: Schreibtischstuhl, Tessenow-Katalog, J. Groschkus, Berlin